Nailya Galyavieva - "Das Zuhause ist der Geist im Inneren"
ab März 2021
online
Der internationale Verein der tatarischen Frauen „HANIM“ organisiert seit dem Januar 2021 Online-Unterrichte. In verschiedenen Ländern lebende tatarische Frauen treffen sich online und lernen die Besonderheiten des Handwerks in verschiedenen Richtungen kennen. Der Workshop zur Applikation mit Stoff wird von Nailya Aminovna Galyavieva geleitet, einer Malerin, geehrten Künstlerin von Tatarstan und Lehrerin für dekorative und angewandte Kunst.
Wir präsentieren Ihnen unser Interview mit Frau Galyavieva über Kreativität und ihre Werke, die aus den Stoffstücken gesammelt wurden.
Interview mit Frau Galyavieva:
Alsu Rahimova: Nailya Hanim, es ist geplant, unter Ihrer Leitung mehrere Workshops zu veranstalten. Der erste Online-Unterricht ist vorbei. Wie war Ihr Eindruck von diesem Treffen?
Nailya Galyavieva: Ich hatte den Eindruck, dass wir wie Freunde, die sich schon lange kennen, kommuniziert haben. Ich fühlte das Interesse bei den Damen, die sich dem Kurs anschlossen, den Wunsch, nationale Ornamente zu lernen. Ich mochte ihre Versuche, die tatarische Kultur in dieser Hinsicht zu lernen. Später, in einem gemeinsamen Chat, wurden die Ergebnisse der Arbeit fotografiert und besprochen. Ich habe sie auch markiert. Ich glaube, die Frauen waren aufrichtig begeistert mit dieser Handarbeit. Ich habe mich darüber sehr gefreut. Das heißt, wir haben ein notwendiges Projekt begonnen.
А. R.: In der Vergangenheit haben unsere Großmütter versucht, ihre Individualität und ihr Können durch Sticken zu demonstrieren, und wollten auf dieser Weise der Umgebung Schönheit verleihen. Jetzt ist es einfach, schöne Designs und Originalartikel im Handel zu finden. Trotzdem verliert das Handwerk nicht an Relevanz. Spezialsupermärkte und Freizeitgeschäfte bieten eine breite Palette an Materialien und Werkzeugen für Hobbys in verschiedenen Bereichen. Warum ist die Handarbeit heute noch aktuell?
N. G: Das Leben ist momentan schwer. Deswegen mehr und mehr Menschen beginnen, sich für Kreativität zu interessieren. Es kommt oft vor, dass die Eltern keine Zeit, keine Möglichkeit hatten, ihr Kind rechtzeitig zur Kunstschule zu bringen. Aber der Traum ist geblieben. Als Erwachsener hat man bereits seinen Platz im Leben gefunden. Man möchte zeichnen, weiß aber nicht wie. So kommen viele in die Workshops.
Ein weiterer Grund ist, dass Kreativität wie Psychotherapie ist. Wenn man sich damit beschäftigt, geht völlig hinein in seine Arbeit und vergisst die Welt, es ist eine Art von Entspannung. Es geht nicht darum, ein Kunstwerk zu schaffen oder Professionalität zu erreichen, man kann auch mit einfachem Niveau zufrieden sein. Ich glaube, am wichtigsten ist, dass man sich selbst behandeln, helfen kann.
А. R.: Wirklich, diese Richtung ist in Deutschland als Kunsttherapie sehr beliebt. Wie Sie gesagt haben, es geht nicht darum, ein Kunstwerk zu schaffen, sondern sich auf das Innere zu konzentrieren, um den emotionalen Zustand zu verbessern. Man kann sein Herz frei in Kreativität öffnen. Viele suchen vielleicht nach Harmonie mithilfe der Handarbeit.
Wir kennen Sie als Autorin des zahlreichen Stoffpanels, die für viele interessant und vertraut sind. Sie haben im Workshop erwähnt, dass Sie seit mehr als 30 Jahren an dieser Art von Kreativität beschäftigt sind. Sie erstellen ein Bild, indem Sie Stoffstücke an die Basis kleben. Was war die Geschichte der Entstehung dieser Technik? Wie haben Sie Ihren Stil gefunden?
N.G.: Ich wurde in der Stadt geboren. Laut meiner Mutter als ich zwei Monate alt war brachte sie mich zu meiner Oma ins Dorf, weil der Mutterschaftsurlaub sehr wenig war. Ich wurde seitdem von meiner Großmutter im tatarischen Dorf betreut. Auch später habe ich sehr viel Zeit dort verbracht – Schulferien, auch Studentenpraktika. Es ist ein sehr kleines Dorf, hat aber eine Geschichte und berühmte in der tatarischer Kultur Personen, die von hier stammen.
So bin ich in diesem Dorf aufgewachsen und habe gelernt, Tatarisch zu sprechen und auf dem Land zu arbeiten. Ich habe dort tatarische Lieder gehört. Das tatarische Volksfest Sabantuy wurde immer sehr schön gefeiert. Sagen wir einfach, diese ganzen Erlebnisse sind wie ein Gepäck in mich erhalten geblieben. Als ich die Kunstschule betrat, wollte ich viele Themen über dieses einfache Dorf bearbeiten und die Schönheit und das Leben des tatarischen Dorfes zeigen.
Am Anfang habe ich Puppen in tatarischen Kleidern gemacht. Dann irgendwann ist es mir eingefallen, die Puppen könnten ja auch etwas machen – eine Frau, die Wasser trägt oder eine Oma, die sitzt am Spinnrad. Ich habe angefangen, das ganze aus Karton anzufertigen und danach auf Holzplatte aufzukleben. So unerwartet wurde meine Panel-Technologie geboren.
In meinem Kopf tauchten nacheinander Themen, als ob der Wasserhahn geöffnet wurde! Alles, was ich in jungen Jahren im Dorf gesehen habe: zum Beispiel die Großmütter, die in der Nähe des Brunnens tratschen – sie besprechen alle Neuigkeiten. Es gab viele Themen zu zeigen. Eine Kunstwissenschaftlerin bemerkte, dass ich eine neue Richtung in der Kunst des angewandten Designs einschlug. Es gibt keine andere Meister in dieser Technik, mit der ich arbeite.
Gulnur Dautova: Haben Ihre Kollegen Sie dafür nicht kritisiert, dass Sie Karton oder Kleber verwenden? Haben sie nicht gesagt, dass dies kein tatarischer traditioneller Stil ist, dass man sticken statt kleben soll?
N. G: Es gab keine solche Kritik. Dies ist eine andere Technologie. Es ist nicht möglich, hartes Papier zu besticken oder zu nähen. Ich benutze andere Technik, um Stickerei zu zeigen. Ich kann einen Monat lang in Geschäften den Stoff suchen, den ich brauche – mit Elementen, die dem Rand der Tischdecke ähneln. Ich kaufe diesen Stoff nur für diesen Teil. Vorsichtig schneiden und applizieren. So wird der Rand erstellt. Das ist mein Know-how. Es gibt keine negativen Kommentare und meine Kollegen wundern sich nur darauf.
G. D: Vor einem Monat beschäftigten wir uns mit konservativen, traditionellen Handarbeiten – Stickereien und verbrachten Unterricht in Tambour, glatter Stickerei. Jetzt gehen wir in eine modernere Richtung. Ich denke, es ist ein moderner Stil.
N. G.: Wir denken sowohl tatarisch als auch modern. Darüber spreche ich auch mit meinen Studenten. Ich sage ihnen, Sie finden Bilder im Internet und zeigen sie. Wenn Sie möchten, könnten Sie auch Zeit für Kreativität, für Ausdenken finden. Unsere Vorfahren haben nirgends studiert, haben keine Kunstschulen absolviert. Aber was für eine Schönheit, Ästhetik und Design sieht man in den von ihnen verbliebenen Denkmälern und Mustern. Das alles haben sie erfunden, die Menschen, die auf dem Land wohnten.
G. D.: Wenn ich anfange, nach einem tatarischen Ornament zu suchen, sehe ich, dass tatarische Muster mehr mit Blumen, Pflanzen verbunden sind. Ich suche nach etwas Neuem. Dann sagt man, dass es keine tatarische Dekoration ist. Wenn wir uns Ihre Stoffpanels ansehen, obwohl dies keine traditionelle tatarische Kunst ist, ist es mit der tatarischen Hand, dem tatarischen Sinn gemacht. Und Sie zeigen in Ihren kreativen Arbeiten auf Ihre eigene Weise Ihre Erfahrungen, Ihre Erinnerungen. Es ist uns europäische Tatarinnen sehr interessant.
А. R.: Auch wenn wir nur die Namen der von Ihnen erstellten Panels erwähnen, wird es gemütlich: „Wiegenlied meiner Großmutter“, „Blumen meiner Mutter“, „Süße Milch“, „Tee trinken“, „Nach dem Bad“, „Nachbarn“… Wie entstehen Ihre farbenfrohe Bilder?
N. G.: Es ist eine Übereinstimmung des Materials mit den Bildern in der Seele. Die richtige Wahl des Stoffes ist sehr wichtig. Im Erfolgsfall beginnt die Stoffpanel zu arbeiten. Durch die Kombination von Idee und Stoff entsteht eine Harmonie, die beim Zuschauern ein Gefühl hervorrufen kann. Ich schaffe es nach eigenen Gedanken, ich mag es nicht, andere Menschen zu wiederholen. Ich verarbeite Erinnerungen. Auf dem Papier können Sie tun, was Sie wollen. Aber Materialien wie Stoff, Pappe, Bretter haben ihre eigenen Anforderungen. Die Applikation ist eine Verallgemeinerung der Form.
Sowohl Ideen als auch Panels werden unterschiedlich geboren. Zum Beispiel habe ich im Laden einen sehr schönen Stoff mit Spitze gesehen und mir ist ein Bild in den Sinn gekommen. Es erinnert an ein zugefrorenes Fenster. So habe ich eine im kalten Wetter gefrorene Eisverkäuferin dargestellt, ihren Wagen und, um die Situation noch trauriger zu machen, eine gefrorene schwarze Katze dabei. So werden Themen geboren, entweder sehe ich einen interessanten Stoff oder erinnere mich an die Erlebnisse in Jugend.
G. D.: Wenn man Ihre Werke sieht, kann man mit Sicherheit sagen, dass die Autorin Nailya Galavieva ist. Ist Ihr Stil einzigartig?
N. G.: Nicht nur in Tatarstan, sondern auch in Russland gibt es keinen anderen Künstler, der auf diese Weise tatarisches Thema darstellt. Viele Künstler haben das tatarische Thema eröffnet – Ildar Zaripov, Kharis Yakupov und viele andere. Robert Minnullin kommentierte meinen Stil so: „Humor wird allgemein als männliche Eigenschaft angesehen. In Nailyas Arbeite herrscht ein großzügiger, warmer Witz“. Ich habe keine seriösen Panels. Robert Minnullin schrieb 17 Gedichte, als er meine Arbeite sah.
А. R.: Was für Gefühle gibt Kreativität, Handwerk? Kann es den Menschen glücklich machen?
N. G.: Ich bin glücklich mit meiner Arbeit. Ich habe viele Schwierigkeiten durchgemacht, diese Kreativität hat mir geholfen, das gibt immer noch Energie. Das Leben ist jetzt schwer. Du gehst nach Hause und setzt dich dazu, vergisst die Welt und genießt es. Es gibt keine Zeit frustriert zu sein.
А. R.: Es gibt immer zwei Autoren eines Werkes, der erste ist der Schöpfer, der zweite ist der Leser oder der Zuschauer. Ihre Arbeiten werden nicht nur in Tatarstan, sondern auch in Russland und im Ausland ausgestellt. Was für Kommentare bekommen Sie von Ihren Zuschauern?
N. G: Viele sagen, wir sind in unsere Kindheit zurückgekehrt, haben unsere Großmutter gesehen und ihren warmen Kuchen gegessen. Es wird oft gesagt, dass wir auch eine solche Patchworkdecke und eine Großmutterkiste hatten. So kann mein Publikum seine Kindheitserinnerungen auffrischen. Meine Werke bergen in sich viele Details, die zum Nachdenken und Träumen anregen.
А. R.: Wirklich, schön übereinander gestellte Kissen, Galoschen mit roter Innenseite, verwöhnte Katze, Kinder, die auf den Kuchen vom Ofen warten, Frauen, die beim Tee schwatzen – das sind alles die üblichen Situationen und Typen, die für viele vertraut sind. Wie verändert sich der Raum, wenn dort solch ein originelles Wandbild erscheint, welches Gefühl wird zu diesem Ort hinzugefügt? Haben Sie es vielleicht beobachtet?
N. G.: Meine Cousine, der ich mehrere Bilder geschenkt habe, hat sie alle ins Haus im Dorf geschickt, angeblich passt es nicht zu ihrer neuen weißen Wänden. Andere Cousine hat ein Stoffpanel von mir und es hängt an eigener Stelle in ihrer modernen Wohnung. Sie sagt nur: „Jedes Mal, wenn ich es hinschaue, erinnere mich an Oma“. Solche verschiedene Wahrnehmung.
А. R.: Für Kinder werden Spielzeuge mit unterschiedlichen Oberflächen, aus unterschiedlichen Materialien empfohlen, um die Feinmotorik, Fingergefühl zu entwickeln. Als ich Ihr Stoffpanel „Köstliche Milch“ sah, hatte ich den Wunsch, es mit Finger zu streichen.
N. G.: Ich habe mich schon daran gewöhnt, auf allen Ausstellungen Ältere und Jüngere haben den gleichen Wunsch. Ich führe Unterricht für dekorative und angewandte Komposition in der Kunstschule. Wir machen Puppen von Hand. Die meisten Kinder gehen oft ins Internet, setzen oft nur den Kopf, Augen und Ohren ein. Erst mit Mühe, dann aber mit Interesse kommen die Kinder zum Basteln. In Ausstellungen fragen die Kinder oft, woraus die Gesichter und die Hände gemacht werden.
А. R.: An dieser Stelle möchte ich noch einmal den tatarischen Dichter Robert Minnullin zitieren: „Jede Ausstellung von Nailya erinnert an ein tatarisches Haus.“ Eine Gruppe Ihrer Bilder zeigt den Innenraum – das Haus, von dem eine angenehme Ruhe – Ordnung und Zustimmung – eingehüllt ist. Darüber sprechen die von Ihnen erwähnten Zuschauergefühle, man spürt schnell die Hausharmonie in Ihren Wandbildern. Und der Titel, den Sie Ihrer Ausstellung gaben, ist „Die Wärme des Elternhauses“. Schöne Worte.
N. G.: Das hat auch eigene Geschichte. Der erste Präsident von Tatarstan, Mintimer Sharipovich Shaymiyev, hat mein Bild „Wiegenlied“ zum Geburtstag als Geschenk bekommen. Der Präsident schaute sich alles genau an, bewunderte, mit welchem Respekt und Liebe die junge Künstlerin das Dorf gezeigt hatte. Er selbst ist ein Landkind, liebt das Dorf. Er schenkte mir sein Buch. Daher sind diese Worte.
Ich mochte diese Worte sehr. Das Wort «Haus» kann im weiteren Sinne verstanden werden. Es ist nicht nur ein Haus mit vier Wänden, es ist ein Heimathaus – es ist der Geist im Inneren. Nur wir Tataren können den Wert unserer Kultur kennen – unsere Sprache, Essen, Tanzen. Als ich aufwuchs, gab es keine tatarische Sprache in der Stadt. Ich fragte meine Mutter, warum sie mit mir nicht Tatarisch geredet hat. Sowohl im Kindergarten als auch in der Schule wurde nur Russisch gesprochen. Erst als ich in diesem Dorf lebte, lernte ich die tatarische Sprache. So wie ich schön zeichnen kann möchte ich auch Tatarisch perfekt sprechen, es ist mein Traum. Ich spreche Tatarisch mit meinem Herzen.
А. R.: In einem tieferen Sinne ist ein Haus eine Welt für sich. Jeder möchte, dass sein Zuhause ein sicherer, friedlicher und glücklicher Ort ist. Wer waren in Ihrem Leben die Menschen, die die Wärme des Hauses geschaffen haben?
N. G.: Meine Oma – die Mutter des Vaters. Obwohl ich meinen Großvater nicht gesehen habe, habe ich immer gute Worte über ihn gehört, er war ein sehr freundlicher Mensch. Er konnte Russisch, Tatarisch, Mari sprechen. Und Oma war nett, großzügig. Ich vermisse sie sehr, weil ich mit ihr aufgewachsen bin. Ich war der erste Enkel. Ich bin mit ihrer Liebe aufgewachsen, es gab so viele Menschen um mich herum, die mich liebten, ich habe immer die Wärme der Sonnenstrahlen gespürt.
А. R.: Als ich Ihre Stoffpanels sah, war das Bild der Oma mir am nächsten und am resonantesten. Geranien anpflanzen, Wollsocken stricken – sind bereits das Haupthobby unserer Großmütter. Viele von uns haben herzliche Erinnerungen, die mit den Großeltern verbunden sind. Großeltern mögen das Kind anders.
N. G.: Großeltern sind Hüter unserer Traditionen und der Werte, des tatarischen Geistes. Meine Mutter sagte immer: „Tochter, warum ziehst du den Omas in deinen Bildern gestopfte Socken an, als ob sie arm wären.“ Und ich erklärte: „Mama, ich zeige keine Armut, das ist Sparsamkeit“.
Oft werden Tataren gerade und vereinfacht dargestellt – der Kalfaq, der Chak-Chak, die Lederstiefel. Andererseits zeige ich tief die Besonderheiten des tatarischen Charakters. Großmütter sitzen und trinken Tee. Wie sind sie angezogen? Socken mit Fleck auf den Fuß. Dies ist Behutsamkeit. Sie trinken langsam Tee und verlassen den Tisch erst, wenn der Samowar geleert ist. Es ist keine Faulheit, sie erledigen ihre Arbeit in richtiger Zeit. Sie brauchen aber auch Kommunikation. Das ist ein Wesen des Dorfes, dort gibt es keine Eile, keine Hektik. So führe ich die Merkmale des nationalen Gemüts mit Humor ein, entweder durch die Elemente des Kleides oder durch die Handlungen meiner Charaktere. Das ist mein Credo.
А. R.: Ja, auf diese Weise zeigen Sie die Eigenschaften der tatarischen Mentalität, die Geheimnisse der Harmonie und des Gleichgewichts. Sie haben bereits erwähnt, was für eine Schönheit, was für ein Design sieht man im Erbe der Menschen – in den Dekorationsmustern. Diese Ornamente haben nicht nur Schönheit, sondern auch symbolische Bedeutungen. Wann haben Sie angefangen, diese geheimnisvolle Welt der tatarischen Volksverzierungen kennenzulernen?
N. G.: Als ich angefangen habe, an der Schule zu arbeiten. Kinder fühlen sich gut mit dem Lehrer, wenn er nicht sehr professionell ist, dann haben sie kein Interesse. Kinder brauchen eine Person mit tiefem Wissen. Ich bringe ihnen heute ein Thema bei, Schüler nehmen es auf und morgen brauchen sie neue Informationen. Ich habe für jede Lektion neues Material vorbereitet. Also fing ich an, alleine zu suchen. Seit mehr als 40 Jahren suche ich ständig nach neuen Erkenntnissen.
Ich begann Lernmaterial zu sammeln, als ich anfing, angewandte Kunst zu unterrichten. Es war eine Zeit, in der viele tatarische Gymnasien eröffnet wurden und der tatarischen Sprache große Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Es gab zwei Zeichenstunden pro Woche. Zusammen mit der Kunst der Völker der Welt haben wir der Jugend die nationale Kunst und die nationalen Ornamente beigebracht. Diese Stunde ist eine Lektion in Ästhetik und Persönlichkeit. Die Kinder, die ich gelehrt habe, sind bereits selbst Eltern geworden, und wenn ich sie treffe, erinnern sie sich mit Wärme an den Malunterricht, und auch an die Zeiten, als es ihnen im Leben geholfen hat.
А. R.: Ich habe kürzlich in einem Video gehört, dass das Lehrsystem in der heutiger Schule vollständig logischer Wissenschaften bevorzugt und der Status der Unterrichte, die die Kreativität des Kindes fördern, niedriger ist. Das heißt, eine Hälfte des menschlichen Gehirns ist aktiv, und der Aspekt, der für Kreativität und Vorstellungskraft verantwortlich ist, wird kaum umgesetzt oder entwickelt. Schließlich streben wir danach, als ein einziges, harmonisches Individuum zu leben. Auf diese Weise kehren wir zum Beginn des heutigen Gesprächs zurück – Sie können eine Heilung, eine Inspiration, eine Lebenskraft finden, indem Sie etwas mit Ihrer Fantasie, etwas mit Ihren Händen erschaffen. Die menschlichen Fähigkeiten sind reich.
Während des Meisterkurses haben Sie erwähnt, dass die Dekoration, die wir gemacht haben, ein Herz – ein Solarzeichen war, das uns daran erinnert, für die Welt offen zu sein. Die Alten verstanden diese Qualität als Wert und versuchten, genau diese Bedeutung durch von Generation zu Generation weitergegebene Ornamente zu vermitteln. Es stimmte sehr mit dem überein, was meine Großmutter sagte – offen gegenüber einer Person zu sein, Menschen mit einem Lächeln zu begrüßen, respektieren. Brauchen wir heute die Lebensphilosophie, die unsere Großmütter in ihren Häusern geschaffen haben?
N. G.: Aus dieser Philosophie, dem Lebensstil, den kulturellen Merkmalen entsteht unsere Mentalität – die Weltanschauung. Wir müssen das den Kindern, den Enkeln vermitteln, damit sie es sehen und aufwachsen. Schließlich geht es nicht darum, die symbolische Bedeutung von Schmuck zu kennen, sondern um die Dekoration der Seele. Über Normen, über das, was als Norm gilt. Ich bin in einem Dorf aufgewachsen und habe diese Bedeutungen aufgenommen. Wir sind mit solchen Ansichten aufgewachsen, unsere Kinder denken schon anders. Wenn sie älter werden, denke ich, werden sie Interesse haben, obwohl sie jetzt gleichgültig sind. Und wenn wir von nun an nichts tun, wird der Faden am Spinnrad abreißen. Das bedeutet, dass es mehr keine gestrickten Wollsocken geben wird. Denn in solchen Dingen ist unsere Seele, unsere Erkenntnis der Welt. Das muss bleiben.
Ich denke, das Dorf ist wie die Kiste einer Großmutter – ein Ort, an dem Traditionen bewahrt werden. Das Dorf spielt eine wichtige Rolle für die Entwicklung der Nation und der Menschen. Die Stadt ist ein Raum, wo alles miteinander gemischt ist. Meine Vettern sagen auch: „Schwester Nailya, das Dorf ist so tief in deinem Herzen, sogar wir mögen es nicht so, obwohl wir hier geboren und aufgewachsen sind.“ Als ich im Dorf aufgewachsen bin, habe ich das Dorf geliebt. Meine Mission ist es, diese Handlungen, diese Motive zu in Werke zu entwickeln und zu erben.
G. D.: Der Zweck der Organisation dieser Meisterklasse oder auch anderer Projekte besteht darin, uns zu vereinen und miteinander zu verbinden. Wir entwickeln uns weiter und erweitern unseren Horizont. Was wünschen Sie den tatarischen Frauen, die in Europa leben, weit weg von ihrer Heimat?
N. G.: Sich weiterhin für Ihre nationale Kultur zu interessieren, zu lesen, nicht aufzuhören. Entwicklung des Denkens durch Fingersensibilität ist nicht nur für Kinder wichtig, sondern auch für uns. Kreativität stärkt das Selbstbewusstsein und entwickelt als Individuum, schenkt ein Gefühl der Zufriedenheit. Wir bewahren den Faden der Generationen, indem wir tatarisches nationales Handwerk und Gemälde schaffen. Es ist notwendig, auf verschiedene Weise eine Verbindung zum Heimatland aufrechtzuerhalten.
Das ist unsere Pflicht. Ich zeige diese Traditionen zum Beispiel durch meine Stoffpanels. Ich weiß aber nicht, was die Zukunft für meine Bilder bereithält. Wenn die Panels einzeln gekauft werden, wird die Kollektion „Wärme des Hauses“ auseinanderbrechen. Ich möchte, dass es in einer Museumssammlung als Ganzes aufbewahrt wird. Es gibt niemanden, der in dieser Technik arbeitet. Meine Werke zeigen das Dorf durch das Herz.
А. R.: Die Frauen in dem Verein „HANIM“ sind sehr verschieden und leben alle in verschiedenen Ländern. Wir sind durch Interesse an unsere Wurzeln verbunden. Tatarische Kultur, der tatarische Faden verbindet uns. Die Wärme des Hauses, von dem wir heute gesprochen haben, ist für alle Frauen aktuell, unabhängig von ihrer Nationalität. Humor, Kreativität bringen Energien und helfen im Leben. Unsere Bräuche, Spezialitäten und Rede sind im weitesten Sinne auch eine Art der Kreativität. Vielen Dank für Ihre Antworten, die Ihre Sicht auf die Welt als Künstlerin, Lehrerin und Dame mit Lebenserfahrung widerspiegeln. Wir freuen uns auf den nächsten Workshop und hoffen weiterhin, dass das Wissen und die Techniken, die Sie beibringen, uns inspirieren werden.
